Was ist an Satire eigentlich so schwer zu verstehen?

„Oh, ne, nicht der auch noch!“, werden nun einige denken. Dann bitte weiterklicken. Ich maße mir dennoch an, ein paar Gedanken aufzuschreiben, die mir im Zusammenhang mit Böhmermanns sogenanntem Schmähgedicht nicht ganz unwichtig sind. Die Kanzlerin meint, es sei bewusst ehrverletzend gewesen, was er da gesagt hat. Na klar war es das. Das sollte ja auch so sein. Eine Vorverurteilung sehe ich darin nicht. Er hat es ja nicht einfach dahingesagt, sondern geplant.

Der Kern der Frage ist doch, was ist Satire und was darf Satire?

Der zweite Teil lässt sich einfach beantworten: „Alles.“ Vielleicht etwas eingeschränkt: Alles, was sich mit Worten und Bildern ausdrücken lässt.

Was Satire ist, lässt sich schwerer beantworten. Wenn ich hier etwas schreibe, wird man das nicht unbedingt als Satire erkennen können, ich müsste es wohl erkennbar markieren. Bei einem Format wie dem Neo Magazin Royale ist das einfacher: Die Sendung ist von vornherein nicht als ernst zu nehmendes Livestyle- oder Feuilletonmagazin angelegt, sondern eben als Satiremagazin. Wer das bereits nicht erkennt, sollte einfach immer nur die Tagesschau oder, um beim ZDF zu bleiben, „heute“ gucken. Dort werden keine Witze gemacht. Bei jeder anderen Sendung kann man sich nicht unbedingt sicher sein, also Vorsicht!

Wir leben ja in Zeiten ausgeprägter Empörungskultur, die sich insbesondere gern an Medienschnippseln hochzieht. Ein Zitat, aus dem Zusammenhang gerissen: Der Mob grölt und postet und liked, als gäbe es kein Morgen mehr. Für die Ergründung des Gesamtzusammenhangs ist die Zeit zu knapp, das Datenvolumen zu gering. Man hat es sich schlicht abgewöhnt, Informationen zu hinterfragen. Man will sich an dem Fragment aufgeilen. Kontext ist irrelevant. Will man Böhmermanns Schmähgedicht einzuordnen verstehen, darf man den Zusammenhang eben nicht außer Acht lassen. Das wird auch die Justiz nicht tun, die sich nun wohl damit zu beschäftigen hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Bundesregierung im Rahmen des ominösen „Majestätsbeleidigungsparagraphen“ einer Strafverfolgung zustimmt, um gegenüber dem Erdogan das Gesicht wahren zu können. M. E. reicht aber auch die persönliche Strafanzeige von Erdogan schon, damit die Staatsanwaltschaft tätig werden kann, Bundesregierung hin oder her. Eine Zustimmung der Regierung würde m. E. mit dem Wissen erfolgen, dass der Sachverhalt nicht für eine Verurteilung reicht. Wenn das anders käme, muss ich mal schauen, wo man die Austrittsformulare aus diesem Land herunterladen kann.

Satire ist immer, aus irgendjemandes Sicht, verletzend, anstößig, ehrabschneidend, widerlich und damit alles andere als schön. Es sei denn, man ist nicht betroffen. Dann kann man vielleicht drüber lachen, aber auch nur vielleicht. Das Beispiel drängt sich ja geradezu auf: Charlie Hebdo: „So nah am Ziel. 2 Menüs für Kinder zum Preis von einem.“ mit Bezug auf das Foto von dem toten Flüchtlingskind, das am Strand liegt. Der Cartoon ist geschmacklos, er ist verletzend, aber bei aller Grausamkeit nimmt es die brutale Realität auf’s Korn. Volltreffer ist, wenn sich alle aufregen. Und ja, ich stehe immer noch hinter „Je suis Charlie“. Auch trotz oder wegen einer solchen Karikatur. Weil es möglich ist und möglich sein muss, dass jemand im Rahmen eines satirischen Mediums seine Meinung so kundtut. Gut oder schlecht sind subjektive Maßstäbe. Die haben bei der Frage, ob etwas zu verbieten ist, nichts zu suchen.

Wer nun daherkommt und meint, dass Böhmermann sein Gedicht doch nicht hätte aufsagen dürfen und, weil er es gemacht hat, dafür bestraft gehört, hat die Freiheit der Kunst, zu der auch Satire gehört, nicht verstanden. Nur, weil es einem nicht gefällt, ist es noch lange nicht verboten. Den Nazis gefielen bestimmte Bilder und Bücher nicht. Sie haben sie verboten und verbrannt. Dass das nicht richtig war, ist heute wohl allgemeiner Konsens.

Böhmermann stellt sein Gedicht in einer satirischen Sendung in einen Gesamtzusammenhang, um im Vergleich zum Extra-3-Beitrag, in dem eigentlich nicht mal großartig etwas erfunden wurde, zu zeigen, was gerade nicht mehr erlaubt ist. Aber er deutet es nicht an, sondern sagt es konkret. Das ist beinahe so, wie wenn man jemandem kräftig vor’s Schienbein tritt und dann sagt: „Das darfste nicht machen, das ist verboten.“ Geschmacklos und verletzend. Nur ist das eben unmittelbare körperliche Gewalt. Da kann man noch so oft mit den Augen zwinkern und „War nicht so gemeint!“ sagen. Satire ist das nicht. Wenn Böhmermann aber nicht als Privatmann in einem ernsten Rahmen, sondern in seiner satirischen Sendung ein paar verbale Entgleisungen vom Stapel lässt, dann ist das Satire. Muss man nicht gut finden, aber eben hinnehmen. Auch ein Staatsoberhaupt. Und ein Papst. Und eine Bundeskanzlerin. Vielleicht auch ich einmal.

 

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Datum: Mittwoch, 13. April 2016
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