Überall „Experten“

Da sucht man händeringend nach geeignetem Nachwuchs in der eigenen Branche, dabei muss man nur einmal Twitter und Facebook öffnen und weiß gar nicht, wen man zuerst einstel – äh ohrfeigen soll. Ein autonom fahrendes Fahrzeug kollidiert mit einer Fußgängerin, die ein Fahrrad schiebt. Das ist zweifellos tragisch – wie jeder Unfall mit Personenschaden – aber für einen wie mich natürlich hochinteressant. Etwa genauso interessant, wie die Ergebnisse der Bundesliga für die gefühlt 80 Mio. Fußballtrainer, die regelmäßig vor den Fernsehgeräten und in den Stadien sitzen. In großer Zahl melden sie sich zu Wort, wenn der Ball noch nicht ausgerollt oder die Leiche noch nicht erkaltet, und wissen alles, aber wirklich _Alles_ über den Unfall: Erkennbarkeit, Geschwindigkeiten, aber als allererstes sogar, ob der Unfall vermeidbar war.

Was also tun, wenn man sich mit 20 Jahren Berufserfahrung im Bereich der Unfallrekonstruktion doch irgendwie in der Lage sieht, bereits mit dem nach wenigen Stunden veröffentlichten Material etwas zu dem Unfall sagen zu können (zum Beispiel, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen)? Den Kopf in den Sand stecken, oder in homöopathischen Dosen (hilft ja eh nicht) hier und da mal einen Kommentar ablassen, um wenigstens versucht zu haben, die „Diskussion“ aus einigen Sackgassen wieder hinauszumanövrieren?

Ich komme auf das Thema, weil ich kürzlich hier eine Abhandlung darüber las, was es doch für ein Problem sei, oder warum eigentlich nicht zu den diversen Themen, die die Welt bewegen, geeignete Experten z. B. für Talkshows gewonnen werden könnten, sondern dann immer irgendwelche vermeintlichen Spitzenkräfte eingeladen werden.

Ich weiß ja, was drumherum, z. B. zur Vorstellung des „Experten“, dann für Beiträge produziert werden, denn schon beinahe rührend komisch, aber doch eher an der Grenze zum Fremdschämen ist es, wenn es um Verkehrsunfälle geht, habe ich doch ganz guten Einblick in das echte Geschehen. Zoom auf das Messrad, Totale von der Messlatte. Der „Experte“ in seinem Büro: Interessant, wie behände er zur Tür hineinkommen kann! Genau so stelle ich mir echte Professionalität vor. Er sitzt an seinem Rechner. Mit Warnweste. In der Einblendung liest man „Crashexperte“, „Unfallermittler“ oder so. Und er erzählt wirres Zeug.

Nur mit dem Namen des „Experten“ verbindet man alles andere als einen Fachmann. Man kennt sich ja in der Szene. Denn die echten Experten sehen ihr Gesicht aus Gründen der Seriösität und Reputation eher nicht so gern in windigen Fernsehproduktionen, wollen sie z. B. auch weiterhin im Gerichtsverfahren eine gute Figur abgeben oder nicht mit den falschen Namen in einem Zusammenhang genannt werden .

Damit ist das Problem eigentlich bereits beschrieben: Es melden sich nicht die zu Wort, die wirklich etwas von der Sache verstehen, sondern diejenigen, die meinen, sie hätten die große Ahnung, meistens noch kombiniert mit einem übersteigerten Sendungsbewusstsein und gute Rhetorik.

Und so werde ich es wohl noch ein Weilchen ertragen müssen, dass sich Menschen die Köpfe heiß reden und die Finger wund tippen, obwohl sie keinerlei Ahnung von Kollisionsmechanik und Unfallabläufen, deren Rekonstruktion oder gar der Vermeidbarkeitsbetrachtung haben. Im Hintergrund sammle ich übrigens Material zu dem Unfall, um dann, wenn es an der Zeit ist, vielleicht etwas Tiefgreifenderes dazu zu sagen.

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Datum: Freitag, 23. März 2018
Trackback: Trackback-URL Themengebiet: Ach geh mir wech, Das Leben, das Universum und der ganze Rest

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Ein Kommentar

  1. 1

    Ich finde auch, das der Begriff Experte, wenn er nicht unmittelbar verständlich ist, ziemlich verbrannt ist. Ich habe gerade was zum Außenpolitikexperten der NOZ geschrieben, der russischer Propaganda ohne den Anflug eines kritischen Gedanken treudoof geglaubt hat: https://ibb.town/2018/03/19/beckenbauerismus-bei-der-noz/. Von einem Experten hätte ich jetzt schon erwartet, dass er mit solchen Spielarten von Politik umgehen kann. Pustekuchen.

    Nachfragen blieben unbeantwortet, das Thema schnell ad acta gelegt. Insofern ist da die Frage, was Experten ausrichten können, die sich Zeit nehmen und sich erst dann äußern, wenn andere schon die Luft verpestet haben.

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