Nach reiflicher Überlegung: Heide

Ein jahrelanger Entscheidungsprozess meinerseits hat gestern beim Amtsgericht Berlin-Lichtenberg sein Ende gefunden. Nach nicht ganz 39 Jahren habe ich eine unfreiwillig begonnene Mitgliedschaft beendet. Ich bin aus der Kirche ausgetreten.

Ganz nach Familientradition wurde ich ein paar Wochen nach meiner Geburt katholisch getauft. Das hat mich damals wohl nicht weiter gestört. Auch in den Jahren danach hat mich, außer einige zu lange Predigten, der regelmäßige Kirchgang mit meinen Eltern nicht großartig negativ berührt. Schließlich gehörte es zum Alltags- oder besser Wochentrott, falls es das Wort gibt, regelmäßig in die Kirche zu gehen. So bin ich zur Erstkommunion gekommen und auch gefirmt worden.

Das Gemeindeleben führte dazu, dass ich viele nette Leute meiner Altersgruppe über die Schulkameraden hinaus kennenlernte und so nicht nur die ein oder andere Jugendgruppe besuchte, sondern mich auch aktiv in der Jugendarbeit einbrachte. Kein Osterfeuer war seitdem vor mir und meiner Gitarre sicher. Überhaupt waren es natürlich die hohen Feiertage, vor allem Ostern und die Zeit davor, in der am meisten los war. Aber auch den regelmäßigen Jugendtreff einmal in der Woche habe ich meistens besucht. Schließlich war ich auch noch in der Redaktion des Gemeindeblättchens tätig. Ein Highlight war sicher auch die Fahrt nach Schweden zu einer 3-wöchigen Kanutour. Allerdings ließ schon damals die Frequenz der Kirchgänge extrem nach. Insgesamt war ich in meiner Jugend damit sicherlich einer der Aktiveren in der Gemeinde.

Ein Einschnitt war ohne Frage mein Studienbeginn in Hannover. Dort neue Leute in irgendeiner Gemeinde kennenzulernen, brauchte ich nicht. Es gab ja genug Kommilitonen. Und das „Katholische“ fehlt mir dann auch nicht unbedingt. So gingen die Jahre ins Land, ohne dass ich mal wieder zum eigentlich Sinn des Betens oder für einen Gottesdienst in der Kirche war.

Zwischenzeitlich hat sich die Amtskirche auch nicht gerade in die Richtung entwickelt, die mich zu einer gewissen Linientreue hätte bewegen können. Allein schon so komische Regeln wie, dass man z. B. in Italien Kirchen nicht in kurzen Hosen besuchen durfte und darf, führten bei mir nicht nur zu Unverständnis, sondern auch dazu, dass ich mir vorm Vatikan kurzerhand die mitgebrachte Schlafanzughose überstreifte, mit der ich ohne Schwierigkeiten in den Petersdom gelangte.

Aber das sind letztlich nur Banalitäten im Vergleich zu den großen Themen, die die katholische Kirche immer mal wieder aufs Tapet bringt. Sei es Verhütung, Sex vor der Ehe, die Einstellung zur Homosexualität oder auch der Zölibat. Alles das ließ sich mit meinem „aufgeklärten“ Weltbild nicht in Einklang bringen. Diese Themen sind nun aber so komplex, dass ich das hier nicht weiter ausbreiten will. Die Stellung der katholischen Kirche zu diesen Punkten ist in meinen Augen nicht nur nicht mehr zeitgemäß, sondern teilweise auch menschenverachtend.

Mit Beginn der Berufstätigkeit kam dann die Kirchensteuerpflicht. Man kann sich gedanklich von der katholischen Amtskirche entfernen, aber man muss deswegen noch lange nicht austreten. Und so habe ich brav jahrelang meine Kirchensteuer abgetreten. Inzwischen bin ich seit meinem Umzug nach Berlin an einem Punkt angelangt, dass ich nicht einmal mehr weiß, an welche Gemeinde der (wahrscheinliche unbedeutende) Teil meiner Steuern fließt. Im Gegensatz zu der evangelischen Gemeinde, der nun meine Chefin angehört, habe ich keine Ahnung, in welche Kirche ich gehen müsste. Die könnten sich ja auch mal bei mir melden, finde ich.

An dieser Stelle kann man zurecht einwenden, dass ich ja aus der katholischen Kirche aus- und in die evangelische eintreten könnte, um mich nicht an dem zu bereichern, was bislang (zumindest teilweise) einem guten Zweck zugeflossen ist. Denn ich verkenne nicht die wichtige, karitative Arbeit, die die Gemeinden leisten. Andererseits sehe ich keinen Grund dafür, dass von meinen Kirchensteuergeldern irgendwelche Zinnen vergoldet werden. Letztlich trage ich ja doch durch gemeinsame Steuerveranlagung weiterhin mein Scherflein bei. Dem ist nicht so leicht zu entkommen.

Mit meiner Schwägerin hatte ich zum Thema Kirchenangehörigkeit neulich eine längere Diskussion, die es wörtlich „arm“ fände, aus der Kirche auszutreten. Man muss dazusagen, dass ihr der Glauben und die Kirche sehr viel bedeuten. Ich achte das auch, denke allerdings, dass ich eine christliche Einstellung zum Leben und zu meinen Mitmenschen nicht von der Zugehörigkeit zu einer Amtskirche (dieser Begriff allein schon…) machen muss. Nächstenliebe und gegenseitige Achtung sind Begriffe, die mir keineswegs nun auf einmal fremd sind. Ich bin mir sicher, dass sich durch den Kirchenaustritt meine Einstellungen in sozialen Dingen kein bisschen ändern. Der Vorteil ist vielleicht sogar, dass ich mich nun nicht mehr für irgendwelche komischen Sprüche des Papstes oder einiger deutscher Bischöfe, da gibt es ja auch ganz verschrobene Typen, rechtfertigen muss, was einem als Katholik ja mit schöner Regelmäßigkeit widerfährt. Jedenfalls fühle ich mich nun ganz wohl in meiner Haut als Agnostiker.

Wer aus der Kirche austreten will, muss zu seinem nach Wohnsitz zuständigen Amtsgericht gehen und seinen Personalausweis mitbringen. Verheiratete (so wie ich) benötigen zusätzlich eine Heiratsurkunde (meistens im Stammbuch der Familie). Einen Termin muss man vorher wohl nicht machen. In Amtsgerichten herrscht im Allgemeinen nicht gerade überbordende Betriebsamkeit.

So long.

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Datum: Dienstag, 9. Dezember 2008
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6 Kommentare

  1. 1

    Ich habe diesen Schritt in diesem Jahr auch getan – hat ebenfalls lange gedauert. Seit dem Konfirmationsunterricht (war evangelisch) sind immerhin auch schon 24 Jahre vergangen. Ich bin für mich zu verschiedenen Schlüssen gekommen, von denen „Gott gibt es sehr wahrscheinlich nicht.“ sicher der ausschlaggebende war. Weiterhin ist für mich Kirche nicht gleichbedeutend mit Religion, Religion nicht mit Glauben und Glauben hat leider schon mal gar nichts mit sozialer Kompetenz, Umgangsformen und Menschenverstand zu tun.

    Musstest Du für den Austritt nichts bezahlen? IIRC kostete es 25 Euro.

  2. 2

    Nö, das war kostenlos. Ich war aber auch das Versuchskaninchen einer neuen Gerichtsbeamtin. Vielleicht hat sie das vergessen..?

  3. 3

    dito.
    Jahrelang hab ich´s überlegt, beschlossen, aber aus bequemlichkeit nicht vollzogen.
    Aber nach den Attakten der Päpstlichkeit auf alle wirklich Nächstenliebenden der letzten Tage, war heute das Mass voll.
    Die Zwangsmitgliedschaft habe ich heute beendet.
    Ne Rechnung krieg ich noch, obwohl ich der Dame gesagt habe, dass ich sie weder dazu zwingen würde und ich ihr auch versprochen hab nie nach der Rechnung zu fragen. Naja, muss warscheinlich erst den Dorfhäupglin fragen wiegroß das Loch im Gemeindesäckel grad ist und dann wird die Gebühr festgelegt.
    Aber komisch ist das schon, man hat dem konservativen Laden, den man z.B. für Elend Leid und Tod mitverantwortlich macht ( Verhütungsmittel / Aids Afrika oder Zoellibat und Kindesmissbrauch ), dessen Weltbild man im wesentlichen überhaupt nicht mitträgt uusw usw. den Rücken gekehrt und fühlt sich trotzdem komisch dabei.
    Wie muss das erst Leuten gehen die in einer „echten“ Sekte gefangen sind, wo der ganze Lebensinhalt von gleichgesinnten bestimmt wird?
    So, jezt kann ich mal überlegen welcher sinnvollen Organistation ich zukünftig die Kirchensteuer spende.
    Gruß
    Jürgen

  4. 4

    Ich muss sagen, dass ich mich aufgrund der jüngsten Entwicklungen der katholischen Kirche sehr gut fühle, nicht mehr dazu zu gehören.

  5. 5

    Meine liebe Oma,
    die mit der besten Erdbeermarmelde von Welt,
    würde die ganze Woche nicht mehr aus der Kirche kommmen, wenn sie das hätte noch erleben müssen.
    Gruß
    Jürgen

  6. 6

    […] führte, sind wir spontan hineingegangen (Das erste Mal in einer Kirche seit meinem Kirchenaustritt, aber es war ja auch die andere, die gute […]

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