Quiet please!?!

In letzter Zeit irritieren mich zunehmend Stimmen, die immer lauter nach totaler Stille schreien. Keine Frage: Lärm stört und nervt. Aber was Lärm ist, darüber kann man trefflich streiten. Immerhin lebe ich in einer Stadt mit 3,5 Millionen Anderen. Da lässt es sich nicht vermeiden, dass gewisse Geräusche entstehen. Ab und zu fliegen über unser Wohnquartier Flugzeuge in verschiedenen Größen (der „Rosinenbomber“ nach seiner Bruchlandung ja leider nicht mehr). In den Abendstunden ist mit allgemeiner Luftfahrt eh Schluss, dann sind es nur noch die Airliner, die geschätzt in 1000 m Höhe und mehr über unsere Köpfe fliegen. Klar, man hört sie. Als Hintergrundrauschen. Mich stört das nicht, aber wenn man sich darauf kapriziert, hat man einen Grund, sich aufzuregen. Bedenken sollte man allerdings, dass man teils beruflich, teils zum Spaß (Urlaub) oft genug selbst in so einer lärmenden und qualmenden Zigarre sitzt und anderen Leuten über die Köpfe fliegt.

Am Ostkreuz gibt’s wohl neuerdings ein paar Clubs, von denen bei ungünstiger Windrichtung die Bässe zu uns rüberwummern. Ja, man hört das. Aber ich möchte hier dennoch keine Spandauer Verhältnisse erzwingen, wo bei Konzerten in der Umgebung 50 db(A) nicht überschritten werden darf. Man kann sich ja mal die Dezibel-App aufs iPhone laden und selbst testen, was 50 db sind. (Auf das Problem, ob die Messwerte A-bewertet sind, will ich jetzt nicht eingehen.) Häufig ist der Grund für das Lärmempfinden auch Missgunst oder Neid, weil man nicht (mehr) zu den cool people gehört, die da Cocktail schlürfend abfeiern.

Interessant ist auch die verschiedene Geräusch-Wahrnehmung zu Tageszeiten, wo man mit einem gewissen Lärm rechnen muss. Während Handwerker i. d. R. rumlärmen dürfen, wie sie wollen, sieht das für Musiker, die es in dieser Stadt nicht so leicht haben, einen günstigen Proberaum zu bekommen, anders aus. Die sollen gefälligst leise sein. Zu allen Tageszeiten. Bei mir unterm Bürofenster ist die Anlieferung für einen Supermarkt. Da stehen tagein tagaus Lkw mit Kühlaggregaten. Ich kann euch sagen, wenn die da (gefühlt) ne halbe Stunde (es sind wahrscheinlich nur 15 min) lärmend im Hinterhof stehen, wo sich der Schall durch die Wände zu verstärken scheint, ist man schon ganz schön angenervt. Aber soll ich deswegen ein Fass aufmachen und auf Einhaltung gewisser Lärmpegel beharren? Oder schließe ich ne Zeit lang das Fenster (dann ist es nämlich erträglich) und schalte im Sommer meinen Ventilator eine Stufe höher? Irgendwer muss schließlich mein Feierabend-Bier, das ich dort einkaufe, anliefern. Und meistens kaufe ich dann auch noch ein paar Artikel, die eine durchgehende Kühlkette verlangen.

Toleranz ist ein schwieriges Thema, weil man stets dem anderen sagen kann, er möge doch bitte etwas toleranter sein: Derjenige, der den Lärm macht, oder eben der andere, der den Lärm ertragen muss. Ich denke dann, dass man ein gewisses Maß ertragen muss, solange es nicht völlig gegen die üblichen Uhrzeiten geht. In unseren Häusern ist es auch sehr gut möglich, sich Stille zu verschaffen, wenn man die Fenster schließt. Klar, wenn man auf der Terrasse oder im Garten sitzt, bei offenem Fenster seinen Mittagsschlaf machen möchte, nimmt man Geräusche aus der Umgebung wesentlich stärker störend war. Aber: solange man nicht von den anderen übertriebene Ruhe fordert, kann man wenigstens selbst auch mal etwas (!) über die Stränge schlagen und sei es, weil man mal ein paar Leute eingeladen hat, die logischerweise Geräusche von sich geben.

Als einer derjenigen, die sich z. B. nicht um das Rasenmähen kümmern müssen, könnte ich mich hervorragend darüber aufregen, wenn samstags von früh bis spät irgendwo ein Mäher rumbrummt. Tue ich aber nicht. Nicht, weil es ja selbstverständlich ist, dass Rasen mehr oder weniger geräuschvoll gemäht werden muss, sondern weil ich mir denke, naja, das muss ich jetzt mal ertragen und dann stört es mich auch gar nicht mehr so. Schließlich greife ich ja auch mal ganz gern zum Bohrhammer…

Seit kurzem wird bei uns an einem Bootssteg weitergebaut. Die Baustelle lag jahrelang brach, weil gegen eine Baugenehmigung geklagt wurde. Man befürchtete, dass unerträglicher Lärm von den liegenden Segelbooten ausgeht (Leinen könnten an den Mast schlagen!). Bin gespannt, wieviele Segelboote da überhaupt liegen werden.

Denjenigen, die sich gern über den (vermeintlichen) Lärm aufregen, empfehle ich, sich auf einen alten Bauernhof in der Uckermark  zurückzuziehen, aber bitte nicht jeden Morgen ein geräuschvolles Verkehrsmittel zu benutzen, um in die laute Metropole zum Arbeiten zu kommen. Hier ist mit Geräuschen zu rechnen. Klingt komisch, ist aber so.

So long.

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Datum: Samstag, 21. Mai 2011
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3 Kommentare

  1. 1

    Mit dem Bauernhof in der Uckermark ist das so eine Sache … Mein Schwiegereltern wohnen in einem (ca.) 50-Seelen-Dorf im Schwäbischen, höchst idyllisch gelegen. Da fällt man um sechs Uhr morgens aus dem Bett, weil schwere Lkw über die enge Dorfstraße brettern – teils Mautflüchtlinge, die ein Stück Autobahn abkürzen, teils Baufahrzeuge vom nahe gelegenen Steinbruch. Jedesmal wenn ich wieder zu Hause bin (in Kreuzberg) genieße ich die majestätische Ruhe der Großstadt.

  2. 2

    Mich hat in der Uckermark beim Zelten eher der „Naturlärm“ um meinen Schlaf gebracht. Jedenfalls hat nicht viel gefällt, und die Nachtigall wäre auf dem Grill gelandet… 😉

  3. 3

    Totale Ruhe ist nicht möglich und in der Prärie möchten wohl auch nur die wenigsten wohnen. Von daher muss man einen gewissen Lärmpegel schon akzeptieren, will man auch die Vorteile des städtischen oder stadtnahen Lebens nutzen.

    Dennoch sollte Lärm, so weit möglich, auch vermieden werden. Gerade bei uns – ich wohne ca. 50 Kilometer vom Frankfurter Flughafen entfernt – nerven die anfliegenden Flugzeuge doch schon sehr. Diese fliegen in der von dir erwähnten Höhe 1.000 Meter (über dem tatsächlichen Erdboden, d.h. 1.200 üNN) und sind alles andere als leise. Da werden teilweise Spitzenwerte von über 70dB erreicht. Das ist alles andere als toll.

    Und wenn das dann noch im Sekundentakt den ganzen Tag lang so geht, dann nervt es einfach nur noch und macht erwiesenermaßen auch krank. Nachts mit offenem Fenster schlafen, ist ohnehin nicht drin und auch draußen, im Freien zu sitzen, ist dann keine Wohltat.

    Nun ist es nicht so, dass ich etwas gegen das Fliegen hätte. Aber warum nutzt man nicht lärmarme Anflugverfahren? Warum streut man den Lärm nicht auf die ganze Region, sodass man auch mal Ruhe hat? Warum gibt es eigentlich keine Schalldämpfer für Flugzeugturbinen?

    Da finde ich es durchaus berechtigt, sich mal aufzuregen.

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