Ich bin kein Blogger mehr: Journalizer

Am Mittwoch war im beim Learntank in Berlin. Nicole Y. Männl und Robert Basic hatten zum wiederholten Mal etliche Leute (vor allem sog. Blogger) zusammengetrommelt. Mal im großen Rahmen, mal in kleineren Gruppen sprach man über dieses oder jenes im Internet. Gestern war ich in Leipzig. Im Rahmen der AMI haben sich dort ein paar von diesen Blogger getroffen. Hinzu kamen Leute aus PR/Medienagenturen und aus Industrieunternehmen. Man beschnupperte sich und sprach sachlich miteinander.

Es ging immer wieder um „die Blogger“. Irgendwie muss man diese Leute, die ins Internet schreiben, doch in eine Schublade stecken können! Nicht so einfach. Einer zappelt immer übern Rand. Von irgendeinem guckt immer etwas aus einer Ritze. Manch einer schreit auch laut auf, wenn man die Schublade zuknallt.

Ich dachte immer, der Begriff „Blog“ kommt von „Web-Log“, also einem Logbuch, das man im Internet führt. Ein Logbuch hält erst mal Geschehnisse fest. Es ist dient erst mal nur dem Selbstzweck, geführt zu werden. So, wie eben auch ein Tagebuch. Da schreibt man in erster Linie hinein, um Geschehnisse oder Zusammenhänge zu reflektieren. Manchmal nimmt man es in die Hand, blättert ein wenig darin herum und guckt, was einen früher so bewegt hat.

Dieser Selbstzweck ist anscheinend zunehmend in Vergessenheit geraten oder abgelöst worden. Das betrifft vor allem Themenblogger. Ob Auto-, Mode- oder Designthemen: Wer heute bloggt, will Reichweite haben. Möglichst viele Leser, um daraus möglichst hohe Einnahmen zu generieren, wie auch immer. Ob direkt mit eingeblendeter Werbung oder indirekt dadurch, dass sie ihren Namen als Marke streuen.

Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden, nur ist es nach meinem Verständnis nicht mehr dieses „Bloggen“. Interessant fand ich auch, dass man als „Blogger“ ganz gern damit kokettiert, selbst ja keine Blogs zu lesen. „Warum sollte ich das tun? Interessiert mich doch nicht, was die anderen schreiben. Dazu habe ich eh keine Zeit.“ ist so das, was man dazu hört. Kein Wunder, dass das mit dem gegenseitigen Verlinken nicht mehr klappt, wenn man sich nicht liest.

Jene Blogger sind also eigentlich nichts anderes als Online-Publisher. So ein echter Blogger, das ist so einer wie ich *grins*. Der schreibt, was gerade seinen Hirnwindungen in Wallung hält. Da aber der Begriff „Blogger“ nun annektiert wurde, muss ich mir wohl was neues einfallen lassen. Ich habe mal bei „leo“ geguckt: Da steht zu „Tagebuch“ nicht nur „log“, sondern auch journal und diary. Während „Diarist“ etwas nach Diarrhö klingt, hört sich „Journalist“ gar nicht schlecht. Ach, Mist. Der Begriff ist schon belegt. Naja, dann eben Journalizer. Klingt super, oder?

Autor:
Datum: Sonntag, 3. Juni 2012
Trackback: Trackback-URL Themengebiet: Draußen nur Kännchen, Wie getz?

Feed zum Beitrag: RSS 2.0 Diesen Artikel kommentieren

15 Kommentare

  1. 1

    Ha ha ha, es wär ja zum Lachen, wenn es nicht auch noch irgendwie tragisch wäre …

    Schön ist der Ausdruck ‚Einer zappelt immer übern Rand‘, und ‚Geschehnisse und Zusammenhänge reflektieren‘ ist auch für mich ein wichtiger Punkt, wenn es ums – wie heißt das jetzt – ‚jounalizen‘ geht. Für manche geht es dabei dann ja wohl eher um Gesch(ehn)isse …

    Wie auch immer, ich lese gern, was andere schreiben, aber die Gesch(ehn)isse(r) lass ich dabei aus ;-).

  2. 2

    Danke, Will! Du sprichst mir aus der Seele… 🙂

  3. 3

    Hm, Journalizer? Ein „Womanizer“ ist, wenn ich das Wort richtig verstehe, einer der Frauen fasziniert und in seinen Bann zieht. Das ist ja ganz nett, aber mit „Journalen“ macht das wenig Sinn.

    Warum nicht Blogger bleiben und die semiprofessionellen oder professionellen Themenblogger ebenso mit einbeziehen wie die Tagebuchschreiber?

    Die Welt ist bunt und außer den genannten gibt’s ja noch viele andere Varianten: Z.B. diejenigen, die einen Blog gewissermaßen als Anhängsel zu einem Unternehmen (oder einer Praxis oder einer Kanzlei …) betreiben, um mit ihren Kunden (Patienten, Mandanten …) in Kontakt zu bleiben bzw. neue zu werben – und weil’s ihnen Spaß macht. Spricht da was dagegen? Nö.

    Also lassen wir die Schublade einfach auf. Ein bisschen Unordnung ist doch ganz schön.

    P.S. ich lese auch anderer Blogs, q.e.d.

  4. 4

    Och, naja. Es ist halt so: „Blogger“ strahlt so eine gewisse „Hipness“ aus, die so manch einer oder so manches Unternehmen auch gern über sich erstrahlen lassen will.

  5. 5

    „Journalizer“ … so einer bin ich dann wohl auch. Blogger, pah!

  6. 6

    Hm, ich beginne zu verstehen. Gehen dir einfach die Leute auf die Nerven, die sich als „Blogger“ total wichtig vorkommen und auf die runtergucken, die einfach ab und zu mal was ins Internet schreiben? Ich kenne niemand dieser Art, kann’s mir aber vorstellen. Die haben wahrscheinlich den Fritze-Wichtig-Gestus der Kabelzieher, wennn irgendwo auf Berliner Straßen mal wieder ein Stückchen Fernsehserie gedreht wird. Bei keinem Berufsfeld geht die Schere zwischen Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung wohl so weit auseinander, wie bei den Medienfuzzis.

  7. 7

    Sehr wahr, sehr wahr.

    Und Journalizer klingt super 😀 Darf ich mir das auch mal aus- ähm – verleihen?

    Übrigens ertappe ich mich auch dabei, dass ich Blogs derer, die ich persönlich kenne immer weniger lese, weil ich es mir lieber persönlich erzählen lasse, wenn man sich mal trifft. Eigentlich blöd. Auf der anderen Seite finde ich das entdecken neuer Blogs und Schreiber unheimlich interessant.

    Das geht soweit, dass ich mir mittlerweile die Seiten von Bloggern – Pardon – Journalizern von portugiesisch, indisch, italienisch etc. durch Google Translate jage.

  8. 8

    @alex na toll….und ich dachte du liest meinen Blog noch… 😉

  9. 9

    Musst du auf portugiesisch schreiben. 😉

  10. 10

    Koffi, Deine durchschnittlichen 1,5 Posts pro Monat schaffe ich auch so noch 😉

    *duck*

    Wobei ich grad im Gewächshaus mit harten Gegenständen schmeiße. Hüstel 😉

  11. 11

    Ich gehöre ja, wie Du weisst, zu denjenigen, die keine Zeit mehr damit verbringen, die Seiten derer zu lesen, die im gleichen Themenbereich unterwegs sind. Daher bezeichne ich meine komische Design-Chichi Seite auch eigentlich als Onlinemagazin.

    Es gibt eine interessante Erkenntnis, wenn man auf diese Blogger mal aus unterschiedlichen internationalen Blickwinkeln guckt. In Deutschland ist ein Blogger entweder eine Art Rober Basic, oder aber nur ein Hobbytipper, der auch mal was in dieses Internet schreiben will. Aber doch bitte kein ernsthaftes Medium, schon gar nicht in Konkurrenz zum gedruckten Wort.

    In vielen anderen Industrieländern ist der Begriff Blogger aber mit viel mehr Coolness und Relevanz belegt. Tina Roth Eisenberg, die mit Swiss Miss eins der relevanten Designblogs dieser Welt führt, bezeichnet sich als Design Blogger und es gibt noch sehr viele weitere Beispiele in dieser Richtung.

    Aber sogar in Deutschland gibt es unterschiedliche Betrachtungen. Die Industrie, die Interesse an diesem Medium hat, kann mit dem Begriff Blogger etwas anfangen und weiß oft genug auch, dass das längst keine Tagebuchschreiberei mehr sein muss. Die digitale Elite dieses Landes, egal ob selbsternannt oder nicht, differenziert da viel stärker. Denn man will ja nicht mit Jonas, 16, hört gern traurige Musik und fotografiert in seiner Freizeit, auf einem Level stehen. Und Jonas bezeichnet sich voller Stolz als Blogger. Kann ja nicht sein, dass man mit dem über einen Kamm geschoren werden soll.

    Und ja, wir sind verdammt noch mal Online Publisher. Wird Zeit, dass die Tote-Baum Medien das auch mal richtig verstehen und genau auf dieses Merkmal gestossen werden. Am Ende zählt nämlich nicht die Typisierung des Schreibers, sondern der Inhalt an sich.

  12. 12

    Tja, solange sich die digitale Elite sich selbst als „Blogger“ bezeichnet, wird sie sich den Vergleich mit Jonas (16) gefallen lassen müssen. Das ist halt das Problem, wenn man der Hipsterness immer einen Schritt hinterherhinkt.

    Von daher wäre es m. E. geschickter, das diejenigen, die mit ihrem „Ins-Internet-Schreiben“ monetär was reißen wollen, sich nicht als Blogger und ihre Seiten als Blogs bezeichnen. Meinetwegen Digzine oder was weiß ich.

  13. 13

    Mir ist vollkommen egal, wie man das Kind nennt. Und Schubladen finde ich auch doof.
    Ich stelle Zeug ins Netz, bin also Publisher. Der Rest ist nur eine Frage der Technik. Und inwiefern das privates Geschreibsel oder professionelles „Journalisieren“ sollen die Leser entscheiden.

  14. 14

    Irgendwie habe ich ein Wort und ein Komma vergessen. Egal.

  15. 15

    Journalizer klingt jut. Auch noch nach ein paar Tagen wieder über den Artikel stolpernd, finde ich das Wort immer noch gut.

Kommentar abgeben

(Plumpe Werbung wird gelöscht oder bearbeitet.)