Untierisch

Ich bin ja so ein Ernährungsegalist. Hauptsache, mir schmeckt’s. Ich weiß, dass das schlimm und böse ist und dass ich stellenweise damit auch meine nächste Umgebung zur Verzweiflung bringe. Mit vegetarischer oder gar veganer Ernährung oder Lebensweise – Vegansein ist ja mehr als nur nichts Tierisches zu essen, denn z. B. Leder- und Seidenklamotten sind auch tabu – muss man mir derzeit nicht kommen. Das ist einfach nichts für mich. Jedenfalls im Moment nicht. Ich will gar nicht ausschließen, dass sich das nicht ändern kann, aber im Moment deutet nichts darauf hin. Wobei ich allerdings gut verstehen kann, wenn manche Leute das vor allem aus ethischen Gründen anders sehen. Die Massenproduktion tierischer Produkte ist oftmals eine Ansammlung von Abscheulichkeiten. Ist mir bekannt. Ich kenne die Filme und Bilder von gequälten Kreaturen. Trotzdem bin ich menschliches Arschloch genug, um mich darüber hinwegzusetzen. Dass man in seiner Lebensweise aber auch andere Schwerpunkte als ich setzen kann, finde ich absolut in Ordnung. Und wenn man z. B. bei Bekleidung und Ernährung auf tierische Produkte verzichtet, um damit die Lebewesen zu schützen, ist das aller Ehren wert. Dass man sicherlich auch an anderen Stellen in besserem Einklang mit seiner Umwelt leben kann, ist unbestritten. Man kann sich ja alles mögliche abgewöhnen, was der Erde schadet, z. B. Energie zu verbrauchen. Ist ja auch nicht gut, wenn man sich anschaut, wie die derzeit noch meistens für uns erzeugt wird, sei es Wärme oder Elektrizität oder Mobilität (thermische, elektrische und kinetische Energie). Ich versuche, meistens zu meinen Mitmenschen freundlich zu sein. Ist doch auch was. Außerdem habe ich keine Haustiere, weil ich mal behaupte, dass sich ein wahrer Tierfreund keine Tiere hält. Essen oder anziehen sollte man sie konsequenterweise allerdings auch nicht. Irgendwas ist ja immer.

Nun war ich gestern also zum ersten Mal in einem veganen Restaurant. Eine angenehme Mitmenschin aus Köln, die ich vor meinem Rausschmiss aus der internetten Fiat-500-Welt kennenlernte, weilte wegen einer beruflichen Fortbildung in Berlin. Und sie ist eben Veganerin.

Ich weiß gar nicht, wie man genau sagt: Veganerrestaurant? Vegan-Restaurant? Keine Ahnung. Wie auch immer. Der Laden, Mio Matto in Friedrichshain, war jedenfalls gut besucht. Die Tischreservierung ging vorab über’s Internet. Ist ganz praktisch gemacht und zugleich modern, wobei sich so ein alter Mann wie ich natürlich fragt, ob das auch alles funktioniert und man am Eingang dann stammelt: „Ich hatte einen Tisch für vier reserviert … also, äh, über diese Internetseite. Äh, ne?“ Der freundliche Mann am Empfang, der Chef, wie ich kurz darauf von meiner Bekannten erfuhr, die sich in der Vegan-Szene gut auskennt, nahm mir aber gleich meine Unsicherheit ab und führte mich zum Tisch. Hm. Okay? Da sollte ich also die nächste mindestens zwei Stunden hocken. Die Tische im Gastraum sind auf verschiedenen Höhen angeordnet. Es gibt ein paar normale Tische mit Bänken oder Stühlen, vor allem einen größeren, an dem eine größere Gruppe saß, die offenkundig gute Kontakte zum Inhaber pflegte, ein paar Tische, die mehr so loungig-couchig flach sind und ein paar Tische, die das alles durch übermäßige Höhe wieder ausgleichen, nämlich mehr so Tische wie im Imbiss, wo man ja gern mal mit lehnenlosen Barhockern die Tische bevölkert. Und an so einen Tisch führte mich nun also der Chef. Genauer gesagt waren es 4 Zweiertische, von denen zwei einzeln und zwei zu einer Gruppe – für uns – zusammengestellt waren. Ich zwängte mich völlig egoistisch auf die Bank, die eine etwas klapprige Rückwand hatte, aber man konnte sich immerhin anlehnen. Die Durchschlüpfbreite zum Tisch hat man eher nicht für Leute meines Formats eingerichtet, stellte ich schnell fest. Ich hatte das aber gerade alles geschafft und saß nun mit einer Frau auf der durchgehenden Bank und kippte mit dem ganzen Gerät erst mal leicht nach vorn. Ups. Schon trafen mich ein bisschen wütende Blicke der beiden Frauen vom Nebentisch, die sich gerade über ihre optisch ansprechende Vorspeise hermachen wollten.

Weil die Frau neben mir sowohl ihre Tasche als auch Jacke neben sich auf der Bank zwischen uns aufgetürmt hatte, stopfte ich meine gefütterte Winterjacke samt Handschuhen, Schal und Mütze auch dorthin. Wenige Sekunden später kam der Chef wieder an und fragte mich sehr freundlich, ob er meine Jacke zur Garderobe bringen sollte. Ich wollte noch sagen, er könne ja auch gleich die Jacke meiner Nachbarin mitnehmen, begegnete aber nur mit einem „Gern, vielen Dank“, worauf er mich noch daran erinnerte, keine Wertsachen in der Jacke zu lassen, und schon war ich meine Jacke los. Mit dem Resultat, dass ich nun den Rest des Abends zum Teil auf der Jacke meiner Nachbarin saß. Das störte mich nicht großartig, denn die Holzbank war ansonsten nicht gepolstert und ich wurde schnell auf eine Fehlkonstruktion aufmerksam: Die Fußstützen. Bevor ich die zu weit hinten und zu tief angebrachten Metallstreben ertastet hatte, baumelten meine Füße erst eine ganze Weile unter dem Tisch, während ich mir das Publikum – ich war ja noch allein – mal genauer anschaute. Nach kurzer Zeit ließ meine Konzentration auf die Mitesser aber nach, weil sich die Kante der Bank unangenehm in meine Oberschenkel bohrte, vor allem dort, wo ich nicht auf der Jacke meiner Nachbarin saß, die immer noch keine Anstalten machte, ihre Sachen z. B. auf die andere – freie – Seite zu befördern, oder wenigstens dichter an sich heranzuziehen. Ich traute mich natürlich nicht, die Sachen offensichtlich zu berühren und sparte mir auch eine Bemerkung. Es störte mich ja nicht so richtig, ich fand es nur etwas unhöflich. Ich dachte so bei mir, na, die ist bestimmt nicht aus ethischer Überzeugung Veganerin mit Respekt vor allen anderen Lebewesen, sondern würde eher einen Spielplatz in der Nachbarschaft wegklagen, damit dort ein Heim für jaulende Katzen und kläffende Hunde eröffnen könnte. Auch viele andere Gästen machten auf den Misanthropen in mir mit ihrem Habitus jetzt nicht den Eindruck, auf möglichst harmonisches Zusammenleben mit allen Geschöpfen ausgerichtet zu sein, sondern es waren eben die ganz normalen Mittzwanziger bis -fünfziger, wie man sie überall in Mitte, X-Berg oder Friedrichshain finden kann. So mittel- bis überdurschnittlich erfolgreiche, eher nicht altruistisch wirkende Mittelschichtler, die sich aber selbst bestimmt voll tolerant finden. Vegan ist eben im Mainstream angekommen. Punkt. Manch einer isst eben komische Dinge, nur weil es gerade angesagt ist. Das gilt ja für viele Dinge, nicht nur für vegane Ernährung. Eine ernsthafte Lebenseinstellung steckt nur bei wenigen dahinter, behaupte ich mal (ohne das aber näher zu wissen). Wie man sich ernsthaft Fischeier, Hühnerfüße, Kalbszunge, Rindsleber, Froschschenkel oder Weinbergschnecken und Miesmuscheln, aber auch Spargel und Artischocken oder Fische, die einen noch angucken, in den Hals stopfen kann, werde ich aus Ekelgründen nie verstehen.

Apropos essen. Inzwischen war unserer Essmannschaft auf vier Personen zur geplanten Größe gewachsen, und wir bestellten Getränke. Ich trinke ja gern Bier. Ein Blick in die Karte beruhigte mich: Bier scheint als vegan zu gelten, obwohl, Achtung, Veganer-Bullshit-Bingo: darin Hefe enthalten ist. Haha. Wein gäbe es auch, den hatte ich aber am Vortag genug genossen … Man bestellte sich auch heißen Sanddornsaft. Ob ich mal probieren wolle? Ne, lass ma. Und nahm einen Schluck von meinem leckeren Bürgerbräu Rotkehlchen (Möööp – Vegan-Bullshit-Bingo: Mein Lebensmittel hat Tiernamen!) Die anderen bestellten sich noch eine Vorspeisenplatte. So antipastimäßig eingelegt. Damit kann ich ja nichts anfangen. Überhaupt, kaltes und süßes Essen. Ist ja nicht so meins. Auf den mit der Vorspeise bestellten Hauptgang haben wir dann sage und schreibe ne Stunde gewartet. Ganz schön lange für ein paar Nudeln und ne Pizza. Letztere hatte ich mir bestellt, wobei mir von unserer einzigen richtigen Veganerin am Tisch eher nicht dazu geraten worden wäre. So bekam ich dann also irgendwann meine Quattro Stagioni. Die Pizza sah lecker aus, vielleicht etwas trocken, aber so ne matschige Pizza, aus der das Öl zu allen Seiten rausläuft, finde ich auch nicht so dolle. Geschmacklich wirklich gut. Belegt unter anderem mit Salami- und Schinkenersatzscheiben. Kann man sich ja fragen, ob das nicht generell Unsinn ist. Aber ich wollte eben auch gern mal testen, wie gut das geschmacklich so hinkommt. Kann man machen, is okay, so mein Urteil. Die anderen waren von ihren Speisen auch begeistert, vor allem vom Geschmack. Es war alles sehr gut und einfallsreich gewürzt. Nur hätte es etwas reichhaltiger und wärmer sein können.

Nach ein paar weiteren Bierchen und einer Nachspeiseportion, an der ich nicht beteiligt war, an der man aber vor allem die Pseudo-Sahne lobte, klang der Abend dann aus und ich wurde auch von meiner kantigen Bank erlöst. Was nehme ich außer einem vollen Bauch mit nach Hause? Vegan essen geht, muss für mich aber nicht sein. Vegane Lebensweise ist in jedem Fall konsequenter als vegetarische Ernährung. Wenn ich überhaupt einen Schnitt machen würde, käme vegetarische Ernährung nicht in Frage, weil mir das zu halbgar wäre. Es würden ohnehin vorwiegend ethische Gründe bei mir dazu führen. Vegetarier könnte ich nur sein, wenn ich mich z. B. vor Fleisch ekeln würde oder ich den Geschmack nicht mehr mögen würde. Eine Lebenseinstellung ist das aber sicherlich nicht. Jedenfalls nicht für mich. Immerhin denke ich aber im Moment verstärkt darüber nach, was eigentlich woher kommt, und wer oder was dafür gelitten haben könnte.

Ach ja. Nächste Woche wird abgegrillt.

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Datum: Samstag, 7. Dezember 2013
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