Kristallnacht – Pogromnacht – Nazimordnacht

Ich gehöre noch zu der Generation, die den 9. November als Jahrestag der „Kristallnacht“ kennengelernt hat. Ich war 12, als BAP den Song „Kristallnaach“ veröffentlicht hat. Das Wort „Pogrom“ kam in meiner schulischen Ausbildung nicht vor. Auch bei uns zu Hause hieß das „Kristallnacht“. Punkt.

Aus verständlichen Gründen – das Wort „Kristall“ hat ja eher eine positive Attitüde, man verbindet damit etwas Schönes und Wertvolles – ist der Begriff „Kristallnacht“ politisch nicht mehr korrekt. Das ist ok. Dennoch: Auch wenn „Kristall“ in meinem Sprachgebrauch positiv belegt ist, ist es bei „Kristallnacht“ das Gegenteil. Für mich ist es nicht die Verbindung aus zwei Wörtern, sondern ein einziges, das bei mir nur mit Abscheu, Leid und Schrecken verbunden ist. Das Wort „Pogromnacht“ hat bei mir bislang nicht den gleichen Stellenwert eingenommen. Es wirkt so sachlich distanziert. Ich bin dafür wohl nicht gebildet genug. Es löst bei mir kein Erschaudern aus, sondern geht gleichgültiger an mir vorbei als „Kristallnacht“.

Ich habe ein bisschen überlegt, was ein besseres Wort wäre: Judenmordnacht. Trifft es vielleicht ganz gut. Aber damit hat man nicht die vielen Opfern aus anderen Bevölkerungsgruppen des damaligen Deutschen Reichs erfasst. Vielleicht wäre Nazimordnacht gar nicht so schlecht. Gerade letzteres würde im Vergleich mit „Judenmordnacht“ im ersten Teil des Wortes die Opfer durch die Täter ersetzen. Aber funktioniert das Wort nicht trotzdem? Man spricht ja auch in Zusammenhang mit dem NSU/Tschäpe-Prozess von „Nazimorden“.

Mein Eindruck ist, dass man sich nicht trauen würde, in offiziellen Ansprachen ein Wort wie „Nazimordnacht“ zu verwenden. Darin schwingt nicht genügend Schlausprech mit, den man braucht, um die Seriösität zu transportieren, die ernsten Anlässen angemessen ist. Dennoch werde ich in Gedanken „Pogromnacht“ jetzt öfter mit „Nazimordnacht“ übersetzen. Was wäre den Menschen seit den 1930er Jahren bis heute erspart geblieben, wenn der Nationalsozialismus in jener Nacht sein Ende gefunden hätte.

Meine Gedanken sind nun bei allen Opfern rechtsradikaler Übergriffe.

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Datum: Samstag, 9. November 2013
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Ein Kommentar

  1. 1

    Von den Diskussionen um politisch korrekte Begriffe halte ich nicht viel. In diesem Fall war ich sogar verwirrt. Das liegt an meinem Alter (59). Für mich war der Name Kristallnacht immer der Inbegriff für Pogrome, ich verband mit ihm Grausamkeit, Leid und Schrecken. Da es mir persönlich lieber wäre, wenn mehr Leute überhaupt noch wüssten, was am 9.11.1938 geschehen ist, wäre mir jeder Name recht, der das Zeug hätte, sich ins kollektive Gedächtnis einzubrennen. „Nazimordnacht“ gefällt mir nicht. Es weist den Nazi allein die Verantwortung zu. Es waren viele Mitläufer unter uns Deutschen, die dafür auch Verantwortung zu tragen haben. Ich halte dieses Bewusstsein für wichtiger als dem Grauen einen neuen Namen zu verpassen – nur weil er einigen nicht politisch korrekt daherkommt. Ich finde es toll, dass du das Thema aufgegriffen hast. Danke dafür!