Die bunte Polizei-Torte

Kürzlich saß ich in einer Veranstaltung, in der es um polizeiliche Geschwindigkeitsmessverfahren ging: Neue Verfahren und wie sie zugelassen und in Verkehr gebracht werden, Änderungen älterer Verfahren, und wie sie an den neuesten Stand der Technik angepasst werden, Fehlerquellen, Schwachsinnigkeit Unvermögen von Gutachtern und so. Das Übliche. Teilnehmer waren größtenteils Polizei- und Eichbeamte, Vertreter der Hersteller und ein paar versprengte Sachverständige.

Unter anderem erhielt ein Vertreter der Polizei das Wort, um den Anwesenden einmal mehr zu erklären, warum Geschwindigkeitsüberwachung erforderlich ist. Natürlich bemühte er Statistik. Er zeigte ein buntes Tortendiagramm, aus dem klar hervorging, dass „nicht angepasste Geschwindigkeit“ Unfallursache Nummer eins ist.

Polizeitorte

(Quelle)

Das nimmt man ja im Grunde als Binsenweisheit hin. Wenn’s gekracht hat, war höchstwahrscheinlich einer zu schnell. Is‘ ja klar. Andere Gründe sind Fehler beim Abbiegen, Vorfahrtsverletzung und so weiter. Was einen wie mich schon stutzig macht, ist, warum nicht z. B. auch „Unaufmerksamkeit“ oder „verspätete Reaktion“ als Unfallursache auftaucht. Grund, einmal nachzufragen. Gelegenheit dazu ergab sich nach dem Vortrag.

Tja, meinte er, da würden ja Bremsspuren ausgemessen und die Schäden der Fahrzeuge beurteilt und damit wisse man dann, wie schnell ein Fahrzeug war. Ich war baff. In Hessen werden Unfälle für die Statistik rekonstruiert! Ich meinte, dass wäre ja super da in Hessen. In Berlin würde nicht mal ein Bruchteil der Unfälle rekonstruiert, selbst die mit Toten und Schwerstverletzten kaum. Vor mir drehte sich ein Herr entrüstet um, dass das ja wohl nicht stimmen würde. Es gebe schließlich in Berlin eigens Verkehrsunfallkommandos der Polizeidirektionen, die nichts anderes machen würden, als Unfälle aufzunehmen. Ich sagte, ja, das kenne ich sehr genau, weil ich nämlich, wie auch viele meiner Kollegen zusammen mit den Polizisten auf der Straße rumkriechen würden, um Spuren zu sichern. Ja eben, meinte er. Ja eben nicht, meinte ich. Denn die Spurensicherung ist keine Unfallrekonstruktion. Zunächst würden die Spuren gesichert und dann könne man erst anfangen, den Unfall zu rekonstruieren, und ich wüsste sicher, dass das keine Tätigkeit der Berliner Polizei sei. Der Leiter der Tagung hat die Diskussion dann verständlicherweise abgebrochen, weil sich herausstellte, dass das wohl länger dauern würde. Immerhin schloss sich sowieso gerade an Kaffeepause an, so dass dort das Gespräch vertieft werden konnte.

Der Herr vor mir entpuppte sich als ein Vertreter aus dem Stab des Polizeipräsidenten. Wir haben uns gut und angeregt in der Pause unterhalten, es hat aber dennoch einige Zeit gekostet, ihm die Unterschiede zwischen Unfallaufnahme, Unfallrekonstruktion und Unfallforschung aus Sicht des Profis Unfallanalytikers zu erklären. Immerhin bekam ich aber die Antwort auf meine Frage, woher die Statistik die Unfallursache kennt: Das ist nichts weiter als die völlig subjektive Einschätzung der Polizisten, die den Unfall aufnehmen.

Man darf diesen Polizisten nun keinen Vorwurf machen, wenn sie bei ihrer Einschätzung einen Fehler machen. Woher sollen sie das denn wissen? Das hat mich verblüffenderweise auch der Stabsmann gefragt mit dem Verweis darauf, dass ich ja auch etliche Jahre gebraucht hätte, um Unfälle zu rekonstruieren. Ja, so 5 bis 10 Jahre braucht man, bis man das richtig kann. Und genau darum muss man sich doch fragen, wie der Dienstherr von seinen Mitarbeitern, also von Laien auf dem Gebiet der Unfallrekonstruktion, zum einen diese Einschätzung verlangen kann und zum anderen aber nicht davor zurückschreckt, aus diesem Ratespiel eine Statistik zu zaubern und diese bis auf die zweite Nachkommastelle zu präsentieren. Eine ähnliche Qualität hätte es wohl, wenn man die Mitarbeiter eines Bestattungsinstitut nach der Todesursache ihrer „Kunden“ fragen würde.

 

 

 

 

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Datum: Donnerstag, 30. Oktober 2014
Trackback: Trackback-URL Themengebiet: Das Leben, das Universum und der ganze Rest

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Ein Kommentar

  1. 1

    Ok das hat mich schon echt sehr gefreut das so mal zu lesen. Hätte ich mir so jetzt nicht unbedingt gedacht. Aber wirklich sehr interessant. Tja man lernt eben nie wirklich aus und das ist auch gut so.

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