Politiker, beschwert euch nicht, einigt euch
Donnerstag, 18. September 2014 9:40
Heute stimmen also die Schotten darüber ab, ob sie im vereinigten Königreich bleiben wollen oder nicht. Wieder zeigen sich in Europa Bestrebungen in der Bevölkerung, dass man lieber unter sich sein will, statt im großen Ganzen unterzugehen. Und die Politiker jammern (bis auf die Befürworter der separatistischen Tendenzen).
Offensichtlich hat es die Politik nicht geschafft, den Leuten zu vermitteln, dass es schlau und vorteilhaft für den Wohlstand ist, an einem gemeinsamen Strang zu ziehen, ein kleines Rädchen im Getriebe zu sein, ohne das der ganze Wagen nicht rundläuft, aber dass sie trotzdem in der Lage sind, die Eigenheiten ihrer Volksgruppe bewahren zu können (solange sie nicht z. B. fremdenfeindlich sind). Ich finde, in Deutschland funktioniert das ganz gut: Da sind als eine Gruppe natürlich die Bayern, die stolz auf ihren Freistaat, die Landschaft, das Bier, das Jodeln und was weiß ich sind. Aber trotzdem gibt es wohl nur ein paar dumme Hinterwäldler, die sich ernsthaft einen unabhängigen Bayernstaat wünschen. Die Ostfriesen oder auch Sachsen haben zurecht ihren Stolz, so zu sein, wie es ihnen durch stoische Lebensart oder knorrige Mundart in die Wiege gelegt wurde und so weiter. Trotzdem funktioniert das Land dank Föderalismus eigentlich ganz gut.
Schaut man sich um, findet man aber immer wieder in den letzten 30 Jahren Ereignisse, die zum Zerfallen großer Staaten geführt haben: Sowjetunion, Jugoslawien, Tschechoslowakei, um ein paar zu nennen. Ob die Konglomerate, die die Staaten darstellten, in ihrer Kombination besonders glücklich entstanden waren oder den Menschen aufoktroyiert wurden, sei mal dahingestellt. Ob Grenzen entstehen oder abgebaut werden: Man wird nie allen gerecht.
Während aber die Europäische Union eigentlich eine Erfolgsgeschichte ist, gibt es dennoch Bestrebungen, dass man eben nicht das gemeinsame Europa sein will, sondern lieber ein separater kleiner Teil. Da fragt man sich ja, wie das sein kann. Gleichzeitig ist das Interesse an Europawahlen sehr gering. Auch die Wahlbeteiligungen hierzulande geben einem stark zu denken. Ist es nicht so, dass die Politik es offensichtlich nicht schafft, den Menschen zu vermitteln, wie wichtig es ist, gemeinsam etwas zu gestalten? Woran liegt das?
Ich glaube, das liegt an dem ureigenen Verhalten der Politiker selbst. Auf der einen Seite predigen sie von der tollen europäischen Gemeinschaft, vom Pluralismus und so weiter, sind aber auf der anderen Seite untereinander so zerstritten, dass das Gerede komplett unglaubwürdig ist. Anstatt sich eine Idee des politischen Gegners wenigstens anzuhören, wird, egal, was er sagt, gleich in die Kerbe gehauen, was das für riesengroßer Unsinn ist, den derjenige erzählt. Nur die eigene Partei, vielleicht sogar nur der eigene Flügel in der Partei weiß, wie es richtig geht. Alle anderen haben Unrecht und sind unfähig, völlig unabhängig, welche Ziele sie verfolgen.
Diese ganzen Elefantenrunden, Fernsehduelle, Interviews, Talkshows: Nur nerviges Rumgehacke auf dem Gegenüber. Kein einziger noch so vernünftiger Gedanke darf unwidersprochen bleiben. Das ist inzwischen soweit gekommen, dass das Zustimmen zu einer Position, die der Andere (warum ist er überhaupt „Gegner“?) vertritt, als Schwäche stigmatisiert wird. Überlegtes Abwägen, das Beurteilen der anderen Position, kommt viel zu kurz. Dabei ist es doch vielmehr eine Stärke, wenn man mit dem Kollegen aus der anderen Partei eine gemeinsame Lösung erarbeitet. Vor laufender Kamera traut sich das ja keiner mehr und im Hinterzimmer immer weniger.
Solange die Politiker im Kleinen nicht lernen, ihren Willen zur gemeinsamen Arbeit zu zeigen, können sie es von ihrem Wahlvolk auch nicht erwarten.
Thema: Draußen nur Kännchen | Kommentare (1) | Autor: Will Sagen