Der gläserne Autofahrer

Mal wieder wird eine Sau durchs Dorf getrieben, wenn auch nur eine ganz kleine, die wohl auch nur eine ganz kleine Gruppe überhaupt wahrgenommen hat. Immerhin hat der RBB in seinen Hauptnachrichten kürzlich mehrfach berichtet, dass man im Bundestag überlege, Unfalldatenspeicher („Blackbox“) verpflichtend einzuführen. Genauer gesagt, ist es der Petitionsausschuss, der sich dank 416 Unterstützern um dieses Anliegen kümmert. (Interessant finde ich ja, dass Petitionen mit dieser geringen Mitzeichnerzahl überhaupt wahrgenommen werden, aber das nur am Rande .) Und damit werde der bislang unerkannte Gaspedaltreter zum gläsernen Autofahrer.

Ganz klar, dass ich (als Unfallanalytiker) die Einführung eines solchen Speichergeräts befürworte. Denn, eins ist ja klar: Die Autos sind inzwischen mehr als einfache physikalische Massen mit 4 gummibewehrten Kontaktflächen zur Umgebung, die mehr oder weniger kontrolliert über die Straßen rollen oder schliddern. Wenn sie früher schlidderten, dann gab es Spuren. Bremsspuren, Blockierspuren, Driftspuren: Der Schlidderscout wusste aus diesen Spuren einiges zu lesen über Verzögerungen, Bremszustände usw. Mit ABS ist das mit den Spuren aber weitestgehend vorbei. Es gibt sie noch vereinzelt, aber man muss schon sehr genau hinsehen. Auch ESP trägt dazu bei, das Lesen und Deuten von Spuren zu erschweren, weil da die Elektronik „reinpfuscht“, wo früher einfach einer auf der Bremse gestanden hat.

Der ADAC meint, dass Unfallrekonstruktion schon heute funktioniere. Ich würde sagen, sie funktioniert heute noch. Denn zunehmende Sensorik und Assistenzsysteme machen es immer schwerer, zu unterscheiden, welche Aktion willentlich vom Fahrer ausgeführt wurde und was das Auto vielleicht irgendwie selbsttätig gemacht hat. Vielleicht hat ja auch mal ein Assistenzsystem nicht so funktioniert, wie es sollte, und den Fahrer oder einen Unfallbeteiligten geschädigt. Spätestens dann wäre es nicht verkehrt, wenn man etwas über die Daten wüsste, die so im Auto umherschwirren. Das haben sich auch Hersteller in den USA gedacht und dort EDR (Event Data Recorder) in etliche Fahrzeuge eingebaut. Vor allem deswegen, da man sich dort wesentlich eher als in Europa millionenschweren Produkthaftungsklagen entgegensieht und insbesondere die Beweispflicht eher bei den Herstellern liegt. Kein Wunder, dass man dann Vorkehrungen trifft, um sich in eine bessere Ausgangslage zu bringen.

Der ADAC liegt auch falsch, wenn er meint, dass solche Systeme zu teuer seien. Wahrscheinlich hat man nach „Unfalldatenspeicher“ gegugelt und das Gerät von VDO gefunden, das es schon seit etlichen Jahren gibt. Dabei handelt es sich um eine reine Nachrüstlösung, die auch nur eine begrenzte (wenngleich für die Unfallrekonstruktion wertvolle) Datenbasis liefert. Der ADAC liegt deswegen falsch, weil die komplette erforderliche Sensorik in heutigen Fahrzeugen vorhanden ist: Längs-, Quer- und Vertikalbeschleunigungen, Gierraten, Raddrehzahlen, Eingriffe von Assistenssystemen: Alles ist bekannt. Man muss es nur noch für einen kurzen Moment in einen Ringspeicher schieben und im Falle eines Falles (Triggersignal über ungewöhnliche Beschleunigungen) abspeichern und ansonsten überschreiben. Das kostet jedenfalls keine 1000 Euro. Vielleicht 100. Wenn überhaupt.

Damit verbunden ist aber auch, dass es nach wie vor jemanden geben muss, der solche Daten auswertet oder  bei mehreren beteiligten Fahrzeugen zueinander in Beziehung setzt. Und das ist bestimmt nicht eine Kernkompetenz von Polizei, Staatsanwaltschaft oder Versicherungssachbearbeitern. Runterladen und Ausdrucken: Damit ist es sicher nicht getan. Man muss sich halt Gedanken darüber machen, bei welchen Bewegungszuständen die Daten überhaupt entstanden sind. Auch das Datenschutzproblem sehe ich nicht unbedingt so kritisch. Erstens mal findet ein Unfall öffentlich statt. Früher hatte man auch soundso viel Meter Blockierspur auf der Straße, für jeden sichtbar. Wenn man die Datenspeicherung auf vielleicht 5 sec vor und nach dem Unfall (=Triggerereignis) begrenzt, hat man für eine Unfallrekonstruktion eigentlich genug Daten. Und auch die Manipulationssicherheit wäre insofern gewährleistet, da jemand, der sein Handwerk versteht, nicht schlicht Daten runterlädt und ausdruckt, sondern sie mit den restlichen, den bisherigen Anknüpfungstatsachen in Beziehung setzt.

Interessant übrigens, dass die Begriffe „Unfallanalytiker“ oder „Sachverständiger“ in der Auflistung derjenigen, die solche Daten gern hätten, im Bericht von Heise nicht aufgeführt sind …

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Datum: Dienstag, 28. August 2012
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7 Kommentare

  1. 1

    Darüber wurde heute bei uns am Frühstückstisch auch diskutiert und eben die Kosten stellte ich auch in Frage. Wenn ich mir von Garmin https://buy.garmin.com/shop/shop.do?pID=38354 schon so ein Teil für unter 100 kaufen kann, welches mir einige Daten auf’s Handy zaubert, dann sollte man mit werksseitigen Einbaulösungen noch günstiger sein. Ich hätte mit so einer Box in meinem Auto jedenfalls kein Problem.

  2. 2

    […] sagenDer gläserne AutofahrerMal wieder wird eine Sau durchs Dorf getrieben, wenn auch nur eine ganz kleine, die wohl auch nur […]

  3. 3

    Ich habe mir die Berichterstattung nicht komplett durchgelesen, bin mir aber recht sicher das einen Aspekt beim „Datenschutz“ keiner berücksichtigt hat: Die Blackbox zeichnet ja nicht auf WER gefahrebn ist. Die Frage ob die Daten nach dem Auslesen manipuliert werden oder nicht, tritt dann in den Hintergrund, wenn unklar ist wer die Konsequenzen aus dem Unfall tragen muss.

    Wie die ganzen Kritiker wohl reagieren würden wenn man eine digitale Fahrerkarte, so wie sie schon jetzt für uns LKW-Fahrer vorgeschrieben ist, für alle Fahrzeugführer einführen würde? Hatte eigentlich bei der digitalen Fahrerkarte irgendwer mal vergleichbare Bedenken geäussert? Wahrscheinlich nicht, denn bei schweren LKW ist die „Blackbox“ seit etlichen Jahrzehnten bereits in Betrieb. Erst analog, jetzt digital.

    Ich bin dafür das man für gewerblich genutzte Fahrzeuge (inkl. PKW) eine digitale Fahrerkarte einführen sollte. Denn ich bin höllisch gespannt darauf mit welchen fadenscheinigen Argumenten das von den Kritikern abgelehnt wird.

  4. 4

    […] Nachwuchs mal wieder am Wochenende mit der Familien-Kutsche zur Disko will.Weiterführender Link:willsagen.de » Blog Archiv » Der gläserne Autofahrerhttp://willsagen.de/?p=3728Der ADAC meint, dass Unfallrekonstruktion schon heute funktioniere. Ich […]

  5. 5

    Ralf, man muss schon unterscheiden zwischen einem Fahrdatenspeicher (wie im Lkw (die alten, analogen Scheiben sind für Unfallrekonstruktionen übrigens häufig aussagekräftiger als die modernen Segnungen der Technik)) und einem Unfalldatenspeicher. Wer zum Unfallzeitpunkt gefahren ist, ist zwar auch hin und wieder mal eine Fragestellung für einen Unfallanalytiker, meistens ist das aber klar. Mich interessiert in der Regel nicht, wer gefahren ist, sondern wie jemand gefahren ist.

    So eine Blackbox kann für deutlich mehr Rechtssicherheit sorgen, vor allem in Zivilverfahren, wo es zum Beispiel um Schmerzensgeldansprüche geht oder um die Kosten für einen behinderten gerechten Umbau eines Hauses. Ich sehe es ja dauernd, wie stark die Unfallbeteiligten um ihr Recht kämpfen müssen.

  6. 6

    Mir ging es nicht um die Frage ob das eine oder das andere leistungsfähiger ist (vom Prinzip her ist ein digitaler Tacho das gleiche wie eine Blackbox, mit dem Unterschied das weniger Daten in größeren Abständen aufgezeichnet werden). Vielmehr darum, dass es solche Techniken zum einen schon gibt und zum anderen bereits gesetzlich verpflichtend sind.
    Bedenklicher als der vermeintlich unbedeutende Zugewinn an Sicherheit, wie ihn der ADAC beklagt, sind die Risiken beim Datenschutz.
    Welche mysteriösen Risiken sollten das denn zum Beispiel sein? Es werden zwar keine personenbezogenen Daten aufgezeichnet, aber mittlerweile reicht es ja schon aus das jemand „Datenaufzeichnung“ nur andeutungsweise ausspricht damit eine breite Panik vor einem Datenschutzgau ausbricht.

  7. 7

    […] da wären wir wieder bei der zwingenden Einführung von Event Data Recordern. Da müssten nicht nur Basis-Daten wie Geschwindigkeiten und Beschleunigungen gespeichert werden, […]

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